Berufspolitik

Klartext aus der Pappelallee

Klartext aus der Pappelallee Vertreterversammlung der KVBB diskutierte aktuelle Gesundheitspolitik

Viel zu besprechen gab es auf der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) am 27. September in Potsdam. Catrin Steiniger, Vorsitzende der KVBB, gab der VV einen ausführlichen Überblick über die aktuellen berufspolitischen Themen auf Bundes- und Landesebene.

Unter anderem erläuterte die KVBB-Chefin das Verhandlungsergebnis zum Orientierungswert auf Bundesebene. Die Finanzmittel für die ambulante Versorgung werden im Jahr 2025 um knapp vier Prozent angehoben. Darauf hatten sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband Mitte September geeinigt. Dies entspricht einer Gesamtsumme von 1,7 Milliarden Euro.

Zum 1. Januar 2025 steigt der Orientierungswert, der die Basis für die Vergütung ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen bildet, um 3,85 Prozent auf 12,3934 Cent. Zusätzlich wird die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung, die an die demografische Entwicklung und die Krankheitslast angepasst wird, bundesweit im Schnitt um 0,14 Prozent erhöht. Insgesamt ergibt sich somit eine Steigerung von knapp vier Prozent.

„3,85 Prozent sind viel zu wenig und decken nicht unsere Kostensteigerungen ab“, so die Bewertung von Frau Steiniger. „Die Berechnungssystematik zum Orientierungswert ist schlichtweg überholt.“ Sie begrüßte es daher, dass es auf KBVEbene Anfang 2025 eine Klausursitzung der KV-Vorstände geben wird, in der eine neue und kostendeckende Berechnungssystematik erarbeitet werden soll.

Landtagswahl

Frau Steiniger warf in ihrem Vortrag auch einen Blick auf das Ergebnis der Brandenburger Landtagswahl. „Ich erwarte durchaus schwierige Koalitionsverhandlungen. Die neue Landesregierung wird sich aber vermutlich aus SPD und dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht zusammensetzen. Wer auf Frau Nonnemacher als Gesundheitsminister oder Gesundheitsministerin folgt, wissen wir noch nicht“, so Frau Steiniger.

Der KVBB-Vorstand habe gemeinsam elf gesundheitspolitische Forderungen (siehe unten) an die künftige Landesregierung erarbeitet . Diese müssen nach Ansicht der KVBB-Chefin in den Koalitionsverhandlungen und dem Koalitionsvertrag berücksichtigt werden, um die medizinische Versorgung im Land zukunftssicher gestalten zu können. Ein Exzerpt der Forderungen mitsamt einem Gesprächsangebot ist an die Mitglieder und Fraktionen des neuen Landtags verschickt worden.

Dr. Katharina Weinert, Hausärztin aus Fredersdorf, sagte dazu: „Bitte führen Sie mit allen im Landtag vertretenen Parteien Gespräche. Denn die medizinische Versorgung zählt zur Daseinsvorsoge. Und das ist Aufgabe des Landes!“

Regionalbetreuung

Dr. Stefan Roßbach-Kurschat, stellvertretender Vorsitzender der KVBB, stellte der VV den neuen Fachbereich Regionalbetreuung der KVBB vor. Insgesamt sieben Mitarbeitende fungieren in den Regionen als Ansprechpersonen für die Regionalbeiräte der KVBB. Zu ihren Aufgaben zählen unter anderem die Begrüßung neuer Mitglieder, das frühzeitige Aufzeigen von Versorgungsengpässen und die Stärkung regionaler Strukturen wie zum Beispiel Weiterbildungsnetzwerke.

Entbudgetierung

Darüber hinaus legte Dr. Roßbach-Kurschat in seinem Bericht ein besonderes Augenmerk auf die mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) geplante Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung. „Diese Entbudgetierung darf sich nicht nur auf die Kapitel 3-Leistungen beschränken, sondern muss auch wesentliche Grundleistungen unserer Arbeit umfassen. Dazu gehören Gespräche, psychosomatische Behandlungen, Ultraschalluntersuchungen und Schmerztherapie.“ Ebenso müssten Hausbesuche und Ordinationen als zentrale hausärztliche Tätigkeiten entbudgetiert werden.

„Die Entbudgetierung darf keine Mogelpackung werden. Das festgelegte Honorar muss strikt dem hausärztlichen Bereich zugewiesen bleiben. Es darf nicht dazukommen, dass Mittel zu anderen Fachgruppen oder für Sicherstellungsmaßnahmen abgezogen werden. Außerdem dürfen Mittel des Strukturfonds und Rückstellungen, die zur Stabilisierung des Systems aufgelöst werden, nicht einbezogen werden“, machte der KVBB-Vize deutlich.

Praxisnetze

Dr. Roßbach-Kurschat berichtete außerdem über eine Anpassung der Richtlinie der KVBB zur Anerkennung von Praxisnetzen nach § 87b Absatz 4 SGB V, die von der VV mehrheitlich verabschiedet wurde. Damit wurden Bundesrahmenvorgaben umgesetzt.

In Praxisnetzen sind demnach Vertragsärztinnen und -ärzte aus drei verschiedenen Fachgruppen sowie weitere medizinische Kooperationspartner zusammengeschlossen. Die Netzwerke müssen ein geografisch zusammenhängendes Gebiet versorgen und gemeinsame Standards für Qualitätsmanagement, Informationsaustausch und Patientenversorgung umsetzen. Praxisnetze können von der KVBB durch Mittel aus dem Strukturfonds für projektbezogene Maßnahmen unterstützt werden.

Dr. Ralf Greese, Chirurg aus Wittstock und Vorsitzender des Praxisnetzes Medifair im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, begrüßte die Richtlinie generell, kritisierte aber: „Für das, was die KBV als Basis vorsieht, haben wir zehn Jahre Entwicklung gebraucht. Allein für das Management müssen wir jeden Monat mehrere Tausend Euro aufbringen. Gerade für neue Netze braucht es eine zusätzliche Förderung in der Aufbauphase.“

Dipl.-Med. Hartmut Rohde, Chirurg in Schwedt, hatte eine ganz andere Sicht: „Schon in den 90er Jahren haben wir uns regelmäßig in den Praxen getroffen. Diese Förderung braucht jetzt niemand. Das ist rausgeschmissenes Geld.“

Elektronische Patientenakte

Holger Rostek, stellvertretender Vorsitzender der KVBB, forderte in seinem Bericht eine realistische Erwartungshaltung bei der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). Der Start erfolgt im Januar 2025 zunächst in den Testregionen Franken und Hamburg, die bundesweite Nutzung ist für Februar oder März
geplant.

„Die ePA wird zu Beginn nur wenige Daten enthalten und sich erst nach und nach füllen, etwa durch eRezepte“, erklärte Herr Rostek. Er warnte eindringlich vor den bekannten Problemen: „In der Vergangenheit haben neue Softwaremodule immer wieder den Praxisalltag gestört. Praxen dürfen nicht erneut als Testfeld für unausgereifte IT-Produkte herhalten. Die ePA muss von Anfang an technisch reibungslos funktionieren, sonst wird sie zur Belastung statt zur Entlastung.“

Der KVBB-Vorstand appellierte an die Softwareindustrie, nur gründlich getestete und qualitätsgesicherte Module auszuliefern und forderte zugleich eine verbindliche Refinanzierung der ePA: „Es kann nicht sein, dass Praxen die Kosten und Risiken neuer Technologien allein tragen. Die Finanzierungsfrage muss geklärt sein.“

Gerade mit Blick auf die anstehende Erkältungswelle im Januar sei es entscheidend, die Praxen arbeitsfähig zu halten. „Unsere Praxen sind keine IT-Beratungsstellen. Die Verantwortung, Patientinnen und Patienten über die Funktionen der ePA aufzuklären, liegt bei den Krankenkassen, nicht bei den Arztpraxen“, betonte Herr Rostek. „Praxen müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren: die medizinische Versorgung der Menschen.“

Kernforderungen der KVBB an die neue Landesregierung

  1. Ambulant vor stationär
    Eine starke ambulante Versorgung ist der Schlüssel zur Sicherstellung der wohnortnahen Gesundheitsversorgung.
  2. Vergütung von Leistungsverlagerungen
    Leistungsverlagerungen von stationär zu ambulant dürfen nicht zu Lasten der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gehen. Es braucht eine dauerhafte extrabudgetäre Vergütung.
  3. Sektorübergreifende Planung
    Nur eine enge Zusammenarbeit zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen kann zukünftig die medizinische Versorgung in vielen ländlichen Gebieten sicherstellen. Eine gemeinsame Planung dieser Strukturen durch Gesundheitsministerium, KVBB und Landeskrankenhausgesellschaft ist daher unerlässlich.
  4. Finanzierung ambulanter Strukturen
    Die Landesregierung muss sicherstellen, dass ambulante Strukturen dieselbe finanzielle Unterstützung erhalten wie zum Beispiel geplante Ambulant-Stationäre Zentren – durch Vorhaltepauschalen und Investitionszuschüsse.
  5. Ressourcenschonende 24/7-Versorgung
    Die bestehende ambulante Versorgung während der Sprechzeiten und im ärztlichen Bereitschaftsdienst in den sprechstundenfreien Zeiten ist bedarfsgerecht ausreichend. Zusätzliche Angebote können nur mit ausreichenden Mitteln und Personal eingeführt werden.
  6. Unterstützung auf Bundesebene
    Niedergelassene Praxen sind lokal nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich von großer Bedeutung. Sie sichern Arbeitsplätze und Kaufkraft in der Region. Die Landesregierung muss sich beim Bund für den Schutz dieser wichtigen Strukturen einsetzen.
  7. Nachwuchsförderung für Ärztinnen und Ärzte
    Die Ausbildung von ärztlichem Nachwuchs im ambulanten Sektor ist essenziell. Die Landesregierung muss ihrer Pflicht zur Daseinsvorsorge nachkommen und die finanzielle Last der Praxen verringern sowie Weiterbildungsnetzwerke gezielt fördern.
  8. Vernetzung der Medizinischen Universität Lausitz (MUL) mit Praxen
    In der Lausitz sollen künftig Ärztinnen und Ärzte für Brandenburg ausgebildet werden. Dies geht nicht ohne die ambulanten Praxen. Es braucht deshalb eine enge Vernetzung zwischen der MUL und den Praxen, um den Mehrwert für die Gesundheitsversorgung im Land langfristig zu sichern.
  9. Förderung nichtärztlicher Gesundheitsberufe
    Berufe wie Medizinische Fachangestellte oder Physician Assistants sind unverzichtbar. Die Landesregierung muss deren Ausbildung und Einsatz aktiv unterstützen.
  10.   Beratungs- und Fallmanagement ausbauen
    Der Einsatz der speziell ausgebildeten agneszwei-Fachkräfte und anderer arztentlastender Qualifikationen hat sich im Land Brandenburg bewährt. Gerade in ländlichen Regionen leisten sie einen wichtigen Beitrag zu einer koordinierten Patientenversorgung. Die Landesregierung muss dafür eine verbindliche Finanzierung sicherstellen.
  11.   Gesundheitsprävention stärken
    Präventionsprogramme sollten bereits in der Schulzeit beginnen. Frühzeitige Gesundheitsbildung kann langfristig die Belastung des Gesundheitssystems verringern und die Lebensqualität der Brandenburgerinnen und Brandenburger erhöhen.