Berufspolitik

Gesundheitsministerin Britta Müller im Interview: „Stambulant“ denken

Brandenburgs neue Gesundheitsministerin Britta Müller will das Gesundheitswesen zukunftsfähig machen – mit regionalen Gesundheitszentren, digitaler Versorgung und einer besseren Vernetzung von ambulant und stationär. Im Interview spricht sie über ihre Pläne, Herausforderungen im ländlichen Raum und die Bedeutung von „stambulanten“ Lösungen.

Gesundheitsministerin Britta Müller im Interview

Frau Müller, Ihr beruflicher Werdegang ist bemerkenswert – von der Elektromonteurin zur Gesundheitsministerin. Was hat Sie motiviert, diesen Weg einzuschlagen?
Wenn man mit 20 Jahren 1988 eine Ausbildung beginnt, hat man meist noch keine Vorstellung davon, wo man mit Anfang 50 stehen wird. Mein Kollege Karl-Josef Laumann, der Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen, ist zum Beispiel gelernter Baumaschinenschlosser. Uns verbindet, dass wir beide handwerklich-pragmatisch denken, was in der Politik oft ein Vorteil ist.

Für mich kam mit dem Mauerfall die Chance, mich beruflich neu zu orientieren. Ich habe Gesundheitsmanagement und Gerontologie studiert und dabei mein Interesse für das Gesundheitswesen und die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung entdeckt. Später war ich Leiterin der Pflegekasse der AOK Sachsen-Anhalt und habe mich besonders für ältere Menschen eingesetzt. Diese vielen verschiedenen Erfahrungen haben mich auf die Herausforderungen im Gesundheitswesen vorbereitet und motivieren mich, als Ministerin pragmatische und nachhaltige Lösungen voranzutreiben.

Sie übernehmen das Amt in einer Zeit großer Herausforderungen. Welche Themen stehen für Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit ganz oben auf der Agenda?
Das oberste Ziel ist die Sicherstellung der regionalen Gesundheitsversorgung – sowohl ambulant als auch stationär. Die Krankenhausreform des Bundes spielt dabei eine zentrale Rolle, und wir wollen die Krankenhausstandorte zu regionalen Gesundheitszentren entwickeln. Dabei geht es nicht nur um stationäre Leistungen. Ich habe den Begriff „stambulant“ geprägt, um zu verdeutlichen, dass ambulante und stationäre Versorgung viel enger kooperieren müssen.

Ein weiteres großes Thema ist die Fachkräftesicherung. Ohne ausreichend Personal können wir keine nachhaltigen Strukturen schaffen. Wir wollen Programme wie das Landärztestipendium fortsetzen, auch wenn der Umfang angesichts der vorläufigen Haushaltsführung noch offen ist. Auch innovative Ansätze wie das agneszwei-Programm sollen ausgebaut werden.

Ein dritter Schwerpunkt ist unser Pakt für Pflege. Dabei denken wir Pflege sektorenübergreifend mit und integrieren sie in die neuen Gesundheitsstandorte. Pflege ist ein zentraler Baustein, wenn wir über eine zukunftsfähige Versorgung sprechen.

Brandenburg hat eine alternde Bevölkerung und ländliche Regionen mit Versorgungsproblemen. Wie wollen Sie die Gesundheitsversorgung dort stärken?
Es gibt keine universelle Lösung. Wir müssen jede Region nach ihren spezifischen Bedürfnissen planen. In den ländlichen Räumen setzen wir verstärkt auf kommunale medizinische Versorgungszentren und die Zusammenarbeit von Hausärztinnen und Hausärzten in größeren Versorgungsstrukturen. Einzelpraxen allein werden die Versorgung in dünn besiedelten Gebieten künftig nicht mehr sicherstellen können.

Wir wollen zudem digitale Angebote wie Videosprechstunden ausbauen. Gerade im ländlichen Raum, wo Wege in die Praxis lang sind und der öffentliche Nahverkehr oft schwach ausgebaut ist, bieten digitale Lösungen eine wichtige Ergänzung.

Im Koalitionsvertrag liegt ein starker Fokus auf den Krankenhäusern. Wird der ambulante Sektor dabei vernachlässigt?
Nein! Stationär und ambulant dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die Krankenhausreform des Bundes zwingt uns, die stationären Strukturen zu überdenken, aber das bedeutet nicht, dass der ambulante Bereich außen vor bleibt. Im Gegenteil! Der ambulante Sektor wird weiter gestärkt. Umstrukturierungen im Zuge der Krankenhausreform werden zum Ausbau der ambulanten Versorgung beitragen. Wir unterstützen die Entwicklung von Praxen zu Primärversorgungszentren, auch wenn wir hier keine Planungshoheit haben. Ich denke, uns allen ist bewusst, dass wir künftig auf stärkere Kooperation und Arbeitsteilung setzen müssen. Kooperationen zwischen den Sektoren sind der Schlüssel.

Die inhabergeführte Arztpraxis ist für viele ein Symbol der Gesundheitsversorgung. Hat sie aus Ihrer Sicht ausgedient?
Nein, die inhabergeführte Praxis bleibt ein Grundpfeiler der medizinischen Versorgung, besonders in urbanen Gebieten. Aber in ländlichen Regionen wird die Einzelpraxis allein nicht ausreichen. Dort brauchen wir Netzwerke und gemeinschaftliche Strukturen wie Primärversorgungszentren. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte denken ja selbst darüber nach, wie sie die Versorgung in größeren Gebieten organisieren können. Wichtig ist, dass wir jede Region individuell betrachten und maßgeschneiderte Lösungen entwickeln.

Wie planen Sie, die Barrierefreiheit von Arztpraxen zu verbessern?
Es bleibt das Ziel, dass alle Arztpraxen barrierefrei erreichbar sein müssen. Wir setzen auf gesetzgeberische Unterstützung, um Kommunen und andere Träger dabei zu helfen, Praxen barrierefrei zu machen. Direkt können wir als Ministerium keine Mittel für Investitionen bereitstellen, aber wir prüfen andere Fördermöglichkeiten. Zudem wollen wir Kommunen ermutigen, Bürgschaften für solche Projekte zu vergeben, indem wir die rechtlichen Rahmenbedingungen vereinfachen. Und auch die digitale Barrierefreiheit gewinnt immer mehr an Relevanz.

Das agneszwei-Programm soll ausgebaut werden. Was sind Ihre Ziele?
Wir möchten nicht-ärztlichen Fachkräften mehr Kompetenzen einräumen, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten. agneszwei ist ein Vorreiterprogramm, das wir breiter aufstellen wollen, indem wir weitere Krankenkassen einbinden. So könnten noch mehr Hausarztpraxen profitieren. Solche Programme machen den Beruf der nicht-ärztlichen Fachkräfte attraktiver und sind ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Versorgung.

Wie wollen Sie junge Ärztinnen und Ärzte motivieren, sich in Brandenburg niederzulassen?
Unsere Medizinischen Hochschulen in Neuruppin/Brandenburg, Potsdam und Cottbus sind zentrale Partner. Mit ihnen werden wir perspektivisch pro Jahr rund 600 Medizinstudierende im Land Brandenburg ausbilden. Bis wir davon profitieren, müssen wir jedoch attraktive Arbeitsbedingungen schaffen – etwa moderne Technik in Krankenhäusern und digitale Lösungen im ambulanten Bereich. Und wer einmal hier ist, wird die Lebensqualität in Brandenburg schnell zu schätzen wissen.

Abschließend: Wie sieht für Sie eine gelungene Ambulantisierung aus?
Für Patientinnen und Patienten sollte es keinen Unterschied machen, ob eine Behandlung ursprünglich ambulant oder stationär erfolgte. Wir brauchen eine patientenzentrierte Versorgung, die sektorenübergreifend gedacht ist. Die Zukunft wird die „stambulante“ Versorgung sein, also ein Mix aus ambulanten und stationären Leistungen an einem Ort. Dabei müssen wir die Finanzierung neu gestalten, denn mit den bisherigen Modellen ist eine „stambulante“ Versorgung nicht machbar. Unser Ziel ist es, die Stärken beider Systeme zu bündeln und ein modernes, gesundes Gesamtsystem zu schaffen.

Zur Person

Britta Müller, geboren am 24. Dezember 1971 in Eberswalde-Finow, ist Ministerin für Gesundheit und Soziales des Landes Brandenburg. Sie wurde am 11. Dezember 2024 von Ministerpräsident Dietmar Woidke ernannt und anschließend im Landtag vereidigt. Britta Müller ist parteilos und wurde für dieses Amt von der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) nominiert.

Berufliche Stationen

2020 bis 2024
Leiterin der Pflegekasse der AOK Sachsen-Anhalt

2014 bis 2019
Mitglied des 6. Landtages Brandenburg

  • Mitglied im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie
  • Mitglied im Sonderausschuss BER